Pflege

Kapitel als PDF (Teil des Originals).

Pflegebedürftigkeit ist eines der großen unberechenbaren Risiken des Lebens wie Unfall, Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Mehr als 460.000 Menschen beziehen in Österreich Pflegegeld und mehr als 950.000 Menschen pflegen ihre Angehörigen. Die demographischen Entwicklungen lassen diese Zahlen in den nächsten Jahren deutlich ansteigen. Die Bündelung und der Ausbau der bestehenden Finanzierungsströme (Pflegeversicherung) seitens des Bundes werden dazu beitragen, diese Herausforderungen zu meistern.

Qualitätsvolle Pflege ermöglicht ein Leben in Würde. Daher soll jeder Mensch, der sie benötigt, die bestmögliche Pflege erhalten. Die neue Bundesregierung erkennt die großartige Arbeit, die bereits jetzt in diesem Bereich, sowohl von engagierten Pflegerinnen und Pflegern als auch im Rahmen der Familienarbeit, in der Regel von Frauen, mit großer Sorgfalt und Zuwendung geleistet wird, an. Der Staat Österreich darf die Verantwortung dafür aber nicht allein auf die Schultern der Angehörigen laden, sondern hat seine wichtige Aufgabe wahrnehmen. Das bestmögliche Zusammenspiel zwischen der professionellen Pflege, den Unterstützungsstrukturen und der Betreuung zu Hause gilt es, politisch auszuloten.

Es ist deshalb unsere Aufgabe, pflegebedürftigen älteren Menschen Hilfe zu leisten, die wegen der Schwere der Pflegebedürftigkeit auf solidarische Unterstützung angewiesen sind. Es ist daher notwendig, in Abstimmung mit den zuständigen Bundesländern eine grundlegende Reform der Pflege sicherzustellen. Wir werden einen Fokus auf die bestmögliche Unterstützung von betreuungs- und pflegebedürftigen Menschen sowie ihrer An- und Zugehörigen und Pflegenden legen. Dazu zählt neben mehr Wertschätzung auch die Möglichkeit, durch präventive Maßnahmen persönliche, gesundheitliche oder gar finanzielle Folgen im Alter abzufedern. Gerade sog. „young carers“ (pflegende Kinder und Jugendliche) sind verstärkt präventiv zu entlasten.

Um Menschen zu ermöglichen, weiterhin in ihrem Zuhause betreut zu werden, wird zur Entlastung der pflegenden Angehörigen die mobile Pflege und Betreuung ausgebaut und weiterentwickelt. Ziel ist es, Entlastungsangebote, wie zum Beispiel eine Ersatzpflege und die Möglichkeit, einmal pro Monat einen pflegefreien Tag zu bekommen, zu schaffen. Die Pflege eines bzw. einer Angehörigen soll möglich und mit dem Beruf vereinbar sein, wenn sie gebraucht wird. Durch ein ausgeweitetes Angebot an Beratung und Information sollen Pflegende zusätzlich in ihrer Arbeit unterstützt werden.

Ziel der neuen Bundesregierung ist es, qualitätsvolle Pflege auch in Zukunft zu sichern. Eine Personaloffensive sowie eine Erweiterung und Flexibilisierung des Ausbildungsangebots werden dem Pflegekräftemangel entgegengesetzt. Um die vorhandenen finanziellen, personellen und fachlichen Ressourcen und Mittel bestmöglich einzusetzen und die zukünftigen Versorgungsstrukturen zu planen, wird es eine neue, engere und strukturierte Zusammenarbeit zwischen allen Akteurinnen und Akteuren geben.

Eine besondere Form der Pflege stellt die Palliativ- und Hospizpflege dar. Diese versucht, Menschen mit unheilbaren Krankheiten ein Lebensende in Würde zu ermöglichen. Diese Form der Pflege hat in Österreich oftmals durch das Engagement von vielen Freiwilligen funktioniert. Gerade in dieser schwierigen Zeit braucht es aber eine unkomplizierte und vor allem sichere Stütze für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen. In dieser Legislaturperiode wird die Finanzierung der Palliativpflege und des Hospizes auf sichere Beine gestellt.

Weiters ist es wichtig, den Gesundheits- sowie Pflegebereich stets gesamthaft zu betrachten. Ziel muss es sein, durch Prävention und Rehabilitation den Anteil an gesunden Jahren zu erhöhen und somit Pflegebedürftigkeit solange wie möglich zu vermeiden.

Grundprinzipien

  • Die Unterstützung von betreuungs- und pflegebedürftigen Menschen und ihrer An- und Zugehörigen ist nicht nur Aufgabe der Familien selbst, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag

  • Schwerpunkt rechtzeitige Prävention, bei Pflegebedürftigen, pflegenden Angehörigen und Pflegekräften

  • Soviel wie möglich daheim und ambulant – soviel wie nötig stationär

  • Wohnortnahe und dezentrale Angebote

  • Personaloffensive

  • Weiterentwicklung bestehenden des Systems der Pflegesicherung und Sicherstellung der Finanzierung

  • Betreuung und Pflege sind weiblich – entsprechenden Fokus setzen

  • Pflegebedürftigkeit vermeiden bzw. den Anteil an gesunden Jahren im Lebenslauf erhöhen

  • Präventive Entlastung für pflegende Angehörige, insbesondere der „young carers“ (pflegende Kinder und Jugendliche)

Unterstützung pflegender Angehöriger

  • Ziel ist die Einführung eines Pflege-Daheim-Bonus für pflegende Angehörige

  • In Zusammenarbeit mit den Ländern: Ausbau der kostenlosen und wohnortnahen Beratung zu Pflege und Betreuung für pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige bzw. Case Management in Fragen zu Unterstützungsangeboten, Finanzierung, Rechtsfragen; zur Gestaltung von individuellen Pflege- und Betreuungsarrangements

  • Stärkung der Selbsthilfe und Zivilgesellschaft sowie des ehrenamtlichen Engagements: Stärkere Förderung von Angehörigengruppen, Besuchsdiensten und Koordination von Freiwilligen

  • Pflegefreier Tag als Unterstützung für pflegende Angehörige und Burn-out-Prophylaxe: Ziel ist es, dass Angehörige, die die Pflege und Betreuung übernehmen, das Recht auf einen pflegefreien Tag pro Monat erhalten

  • Unterstützung von Kindern und Jugendlichen als pflegende und betreuende Angehörige: erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber dieser Gruppe und Erarbeitung zielgruppenorientierter und innovativer Unterstützungsangebote

  • Verbesserung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf: Bei Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern ist verstärkt das Bewusstsein für die Lebenssituation pflegender Angehöriger zu schaffen, die Pflegeteilzeit oder -karenz beanspruchen (wollen). Es werden Rahmenbedingungen gefordert, die es ermöglichen, individuelle und flexible Arbeitsarrangements zu vereinbaren (z.B. Arbeitszeit, Teleworking …)

  • Die Rahmenbedingungen der selbstständig Erwerbstätigen beim Pflegekarenzgeld werden im Sinne der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessert.

  • Pflegende Angehörige von an Demenz erkrankten Menschen unterstützen: In der Demenzstrategie wird eine Reihe von Handlungsempfehlungen beschrieben. Wir setzen einen Schwerpunkt auf Maßnahmen zur Entlastung und Begleitung von pflegenden Angehörigen. Sie werden über speziell geschultes Personal bzw. ambulante gerontopsychiatrische Dienste und adäquate Betreuungsangebote sowie Tagesbetreuungen mit gerontopsychiatrischem Schwerpunkt unterstützt.

  • Demenzstrategie österreichweit ausrollen und mit Ressourcen versehen

  • Projekt Community Nurses in 500 Gemeinden: Angehörige erhalten professionelle Unterstützung von Community Nurses als zentrale Ansprechpersonen für die zu Pflegenden, die Angehörigen, zur Koordination von mobilen Pflege- und Betreuungsdiensten, medizinischen und sozialen Leistungen sowie zur Koordination von Therapien. Community Nurses haben eine zentrale Bedeutung im Präventionsbereich, also VOR Eintreten der Pflegebedürftigkeit (präventive Hausbesuche ab dem 75. Lebensjahr, Ernährung, Mobilität etc.)

  • Rechtssicherheit für Eltern von Kindern mit chronischer Krankheit bze. Behinderung in Abstimmung mit den Ländern: Kinder mit chronischen Erkrankungen oder einer Behinderung brauchen Sicherheit für ihr weiteres, selbstbestimmtes und abgesichertes Leben nach dem Tod der sie pflegenden Eltern, auch wenn diese Kinder im Erwachsenenalter sind. Dazu gilt es, Wohn- und Arbeitsmodelle zu erarbeiten und zur Verfügung zu stellen.

  • Ausweitung der Möglichkeit der Selbst- und Weiterversicherung als pflegende Angehörige: Die Geltendmachung dieser Versicherung soll auch länger als 3 Jahre rückwirkend möglich werden. Mit der Pflegegeldzuerkennung soll eine automatische Information über die Pensionsversicherungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige erfolgen.

    • Anspruch auf Pensionsversicherung auch ohne vorangegangene Erwerbszeiten

Finanzierung

  • Palliativpflege und Hospiz in die Regelfinanzierung überführen

  • Weiterentwicklung der Aufgaben der AUVA unter Berücksichtigung von Vorsorge, Gesundheit und Pflege

  • Pflegeversicherung – Bündelung und Ausbau der bestehenden Finanzierungsströme aus dem Bundesbudget unter Berücksichtigung der demografischen und qualitativen Entwicklungen (z.B. Pflegegeld, Pflegefonds, Hospizausbau, Zweckzuschuss Regress, Förderung 24-Stunden-Betreuung, Pflegekarenz/Teilzeitgeld, Ersatzpflege, SV pflegender Angehöriger etc.), Einrichtung einer Taskforce „Pflegevorsorge“ – Bund-Länder-Zielsteuerungskommission zur Zielsteuerung, Abstimmung und Koordination aller Stakeholder unter anderem zur gemeinsamen Steuerung der Angebots- und Bedarfsplanung, Evaluierung Best-Practice-Beispiele, Ergebnisqualitätssicherung in den Bereichen häuslicher und stationärer Pflege und alternativer Wohnformen

    • U.a. bessere Absicherung von Krisenpflegeeltern sowie Pflegeeltern und deren Pflegekinder

Weiterentwicklung des Pflegegeldes

  • Neubewertung der Einstufung nach betreuendem, pflegerischem und medizinischem Bedarf unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung

  • Verbesserung der Demenzbewertung

  • Entwicklung eines Pflegegeldsystems, in dem alle Bedarfe berücksichtigt sind

  • Weiterentwicklung des Pflegegeld-Einstufungsprozesses (Mehr-Augen-Prinzip)

Personal und Ausbildung

  • Prüfung der Etablierung eines Ausbildungsfonds

  • Ansprechen von neuen Zielgruppen (zweiter und dritter Bildungsweg, Angehörige mit Pflegeerfahrung)

  • Fachkräftestipendien, Bildungskonto, Implacementstiftung

  • Vereinfachung von Nostrifizierungen

  • Berufsbegleitende Ausbildungseinrichtungen

  • Vorbereitungslehrgänge nach der Pflichtschule an Schulen für Sozialbetreuungsberufe – Überbrückung

  • Implementierung der PFA-Ausbildung in BHS und der PA-Ausbildung in BMS

  • Aufnahme aller Pflegeberufe in die Mangelberufsliste; Zuwanderinnen und Zuwanderer unterstützen (Migrants-Care-Programme)

  • GuKG-Novelle zur Kompetenzausweitung für Pflegekräfte: Pflegefachassistenz

  • GuKG-Novelle zur Kompetenzausweitung für DGKS

  • Einführung einer Pflegelehre PFA unter Berücksichtigung eines altersspezifischen Curriculums

  • Durchlässigkeit zwischen allen Pflege-, Betreuungs- und Sozialberufen – Anrechenbarkeit von Vorkenntnissen – kein Ausbildungsabschluss ohne beruflichen Anschluss

  • Ausweitung von Qualifizierungsprogrammen für Menschen mit Migrationshintergrund (z.B. Sprache)

  • Imagekampagne – Berufsberatung vor Ort, Attraktivierung des Berufsbildes

  • Ausbau und Flexibilisierung von ambulanten Diensten im Bereich Pflege und Betreuung; Ersatz- und Entlastungspflege für pflegende Angehörige (z.B. im Krankheitsfall): Sicherstellung von finanzieller Unterstützung

  • Weiterentwicklung des bestehenden Qualitätszertifikats ÖQ24 unter Berücksichtigung der Bedingungen von Betroffenen sowie Betreuerinnen und Betreuern

  • Schaffung einer Möglichkeit zur Beschäftigung einer 24h-Betreuung für mehrere Kundinnen und Kunden

  • Prüfung der Reduktionsmöglichkeiten von Dokumentations- und Bürokratieverpflichtungen (Entbürokratisierung, u.a. auch OPCAT), Abbau von Doppelgleisigkeiten

  • Überprüfung der Wirkungsorientierung der Dokumentationsverpflichtungen unter besonderer Berücksichtigung der OPCAT

  • Entbürokratisierung des Zugangs zu Heilbehelfen und Hilfsmitteln

  • Qualitätssicherung der 24-Stunden-Betreuung: Ziel: verpflichtendes Qualitätszertifikat für Agenturen

    • Weiterentwicklung des Qualitätszertifikats für Agenturen, Mindesttarif, erhöhter Anreiz für Anstellungen und Arbeitsbedingungen des Betreuungspersonals; Qualitätssicherung durch Verschränkung mit regionalen, ambulanten Pflegestrukturen

Chancen der Digitalisierung

  • Arbeitsalltagserleichterung

  • Prüfung der Nutzung des bestehenden E-Card-Systems für Pflegeleistungen

  • Möglichkeit zur anonymisierten Nutzung von Pflegedaten zu wissenschaftlichen Zwecken und zur Weiterentwicklung des Pflegesystems unter Berücksichtigung des Datenschutzes

  • Etablierung einer umfassenden Informationsplattform für Betroffene und Angehörige: Informationen sollen besser zur Verfügung gestellt werden